Stellt Dir vor, Du bist ein König. Groß, mächtig, alle fürchten Dich. Du bist athletisch und charismatisch, ein wahrer Herrscher. Nur eines fehlt Dir: eine Frau.
Daran bist Du aber nicht ganz unschuldig, denn Du hattest ja schon drei. Die Ehe mit der ersten hast Du annulliert, weil sie Dir irgendwann auf den Senkel gegangen ist. Nebenbei hast Du noch mit dem Papst gebrochen und eigene Kirche gegründet, aber das ist ja nebensächlich. Die zweite hast Du um den Kopf kürzer gemacht, als diese Dir keinen Sohn schenken wollte. Doch Du warst großzügig, immerhin hast Du extra Jean Rombaurd, einen französischen Henker bestellt, der für seine Enthauptungen mit dem Schwert bekannt war. Nur das beste ist gut genug für Deine Frauen eben! Die dritte hingegen starb von alleine, bei der Geburt Deines Sohnes.
Wir halten also fest: Du bist ein König, also muss eine Frau her. Deine Ansprüche sind nicht sehr groß: sie muss nur hübsch sein, reich und aus einem vornehmen Haus. Frei nach Oscar Wilde: „Nur das Beste ist Dir gut genug“. Schließlich bist Du ja König.
Also machst Du Dich auf die Suche. Viele gibt es nicht davon in Europa, aber ein paar schon. Dummerweise haben sie aber schon alle davon gehört, dass Du Deiner zweiten Ehefrau den Kopf abgeschlagen hast. Irgendwie scheint es doch die eine oder andere Braut abzuschrecken. Absolut unverständlich natürlich!
Da hörst Du etwas von Anna von Kleve, Tochter des Herzogs von Jülich-Kleve-Berg. Sie ist reich, vornehm, und über sie kommst Du auf ein Bündnis mit Wilhelm den Reichen gegen die verhassten Kaiser Karl V und Franz I. Passt perfekt. Nur, ist sie auch hübsch?
Was machst Du in der Zeit, wo es kein Facebook, kein Instagram und kein Youtube gibt? Du schickst Deinen Hofmaler hin. Er soll die Braut in spe begutachten und malen. Dann soll das Bild schnell nach Englang kommen und schon siehst Du den schönen Antlitz Deiner neuen Ehefrau.
Kluger Plan, nicht wahr? Doch eine Sache hast Du nicht berücksichtigt, oh großer König: Dein Hofmaler ist Hans Holbein der Jüngere. Ein hervorragender Künstler der… nicht hässlich malen kann.
Da kommt das Porträt der schönen Anna von Kleve, Pergament auf Leinwand gemalt, zur Dir. Du siehst eine schöne, vornehm blickende, reich ausstaffierte Dame. Du bist so begeistert, dass Du sofort, noch ohne sie persönlich kennengelernt zu haben, den Heiratsvertrag unterschreibst.
Nun steht sie vor Dir. Du hast ihr gerade bei einer Bullenhatz ein Geschenk überreicht, wie es sich für einen König gehört und es ist Eure erste Begegnung. Wen siehst Du nun? Eine junge Dame, zwar nicht unhübsch, aber still, humorlos, langweilig, unscheinbar, schüchtern, dazu spricht sie nicht einmal Englisch. Groß und dünn, viel zu dünn für Dich. Kein Feuer, keine Leidenschaft, unvorteilhafte Kleidung. Auch die berühmte erste Nacht ist ein Desaster, Du sagst selbst „Ich habe sie vorher nicht geliebt und jetzt noch weit weniger“. Eine Enttäuschung auf der ganzen Linie. Da hat Meister Holbein offenbar besser gemalt, als die Realität es her gibt…
Du bist so ensetzt, dass Du sofort versuchst, den Vertrag zu widerrufen, aber leider wurde in Deiner Zeit das Fernabsatzgesetz noch nicht erfunden, wie Dir Dein Berater Cromwell erklärt. Du musst sie eben doch heiraten, ob du willst oder nicht.
Zum Glück bist Du ja der mächtige Heinrich VIII. Aber diesmal trittst Du wieder etwas kürzer, die Ehe wird eben nur annulliert, sie darf aber ihren hübschen Kopf behalten. In Deiner Großzügigkeit staffierst Du sie noch mit Geld und Palast aus und machst Dich eben auf die Suche nach einer neuen. Zeit für zwei weitere ist ja noch da. Aber jetzt doch lieber ohne erneut Holbein loszuschicken…
Was lernen wir daraus? Vertraue niemals einem Maler, wenn er eine Frau porträtieren soll!