Schauen wir uns heute das folgende Gemälde an: „Der Distelfink“, auch „Der Stieglitz“, von Carel Fabritius.
Auf den ersten Blick ein ganz gewöhnliches Bildchen eines kleinen Vogel. Langweilig, könnte man sagen. Wo ist da die große Geschichte dahiner? Doch auch solche „Bildchen“ haben einen spannenden Hintergrund.
Unser Vogel ist ein Distelfink, Carduelis carduelis, ein kleiner, aber bunt gefärbter Vertreter der Familie der Finken und fast überall in Mitteleuropa anzutreffen. Haltet bei Eurem nächsten Spaziergang am Waldrand die Augen und Ohren offen, es ist sehr wahrscheinlich, ihn zu finden. Er ist schön anzusehen und kann wunderbar singen, weshalb er gern in der früheren Zeit, als es noch keine Stereoanlagen und keine Soundboxen gab, als Unterhalter dienen musste.
Der kleine Vogel sitzt auf einem schlichten, grauen Kasten, welches an der Wand befestigt und mit zwei Konsolen abgestützt ist. Damit er nicht wegfliegen kann, hält ihn eine kleine Kette am Bein an der oberen Sitzstange fest. Der gräülich-weißer Hintergrund deutet darauf hin, dass sich der Kasten irgendwo an der Wand im Innenraum befindet.
Der Vogel sitzt leicht über uns, so dass wir von unten hochschauen. Der Grund für diese Komposition ist, dass das Gemälde an der Wand befestigt werden sollte, damit der Betrachter glaubt, da sitzt wirklich ein Vogel. Das Gemälde ist ein Vertreter der Trompe-l’oeil Richtung, einer illusionistischen Malerei, mit der man den Eindruck zu erwecken versucht, das Gemalte würde wirklich existieren. Je realistischer das Bild, umso besser, denn so wird der Betrachter wirklich getäuscht. Stellen wir uns vor, wir befinden uns wirklich im 17. Jahrhundert, in einem Innenraum mit wenigen Fenstern, die nur schlecht Tageslicht durchlassen, dazu noch mit Rauschschwaden vom Kamin durchsetzt. Würden wir dann das Bild in der Ecke an der Wand sehen, würden wir sicherlich glauben, dort sitzt wirklich ein Vogel.
Die Pinselbewegung ist meisterlich. Mit nur wenigen kurzen Farbstrichen wird sogar der Federverlauf angedeutet. Sogar Kleinigkeiten wie die kleine Lücke zwischen beiden gefalteten Flügeln ist abgebildet. Die Schattierung des Brustbeines betont die Dreidmensionalität des Vogels, auch Details der Aufhängung an der Wand sind erkennbar. Kein Wunder, dass Fabritius zu den größten Malern seiner Zeit gerechnet wird.
Und die spannende Geschichte dahiner? Als ob der Vogel an sich nicht schon spannend wäre 😉 Wenn wir aber das Bild betrachten, dann denken wir doch bitte daran, dass es eines der letzten Bilder von Carel Fabritius ist. Bereits wenige Monate später war sein Leben zu Ende.
Am 12. Oktober 1654, dem Tag, der seither den Beinamen Delfter Donnerschlag trägt, erschütterte um 10:15 eine fürchterliche Explosion die Stadt Delft. Der Knall war sogar noch auf der 150 km entfernten Insel Texel zu hören. Wie viele Menschen starben, wissen wir bis heute nicht genau, vermutlich Hunderte, manche Zählungen reichen sogar bis 1200. Große Teile der Stadt waren dem Boden gleich gemacht, praktisch jedes Gebäude in Delft beschädigt. Mehr wie 200 Häuser verschwanden komplett, weitere 500 mussten abgerissen werden. Ein Schulgebäude, in dem gerade 22 Schüler Unterricht wurden, war einfach nicht mehr da. Überall lagen Schutt und zerissene Körper, Feuerbrünste brachen los, ein Inferno seinesgleichen.
Was ist passiert? Wenige Jahre zurvor, 1637, wurde im Bereich des ehemaligen Klarissen-Klosters ein Pulvermagazin eingerichtet. 40 Tonnen hochexplosiven Schwarzpulver lagerten dort in Fässern. Am besagten Donnerstag ging der Arsenalverwalter Cornelis Soetens in die Pulvermühle, um Stichproben des Pulvers in Augenschein zu nehmen. Vermutlich sprangen Funken seiner Laterne auf die Pulvervorräte und zündeten den Sprengstoff.
Einer der vielen Toten war der gerade mal 32-jähriger Carel Fabritius. Er porträtierte soeben den Küster der Oude Kerk, als ihn die Druckwelle erreichte.
Welch ein Kontrast zwischen dem kleinen, zierlichen, sanften Vogel und der schrecklichen Zerstörung.