Die Heilige Familie: Maria, Josef und ihr Sohn Jesus, sind sehr beliebte Themen in der sehr religiösen Zeit der Renaissance. Man glaubt nicht nur, man ist sicher, dass die drei gelebten haben und das Jesus der Sohn Gottes ist. Jede Handlung, jede Tat, jeder Gedanke haben Bezug zum Gott, werden als Sünde oder Gute Tat gesehen. Hölle und Fegefeuer sind ebenso real, wie der Himmel und das göttliche Gericht, vor dem jeder Sünder einst treten wird.
Doch die Heilige Familie hat eine zweite Seite. Eine Familie, das ist Ruhe, Frieden, Liebe, Zuneigung. Vor der Mutter Maria muss man sich nicht fürchten, sie ist da, sie beschützt einen. Jesus als Kind ist kein großartiger Weltenrichter, der einen qualvollen Tod am Kreuz sterben wird. Es ist ein fröhliches Kind, welches sein Dasein erst entdeckt und nicht einmal ahnt, wie er einst, als trüber, dunkler Leichnam am schwarzen Kreuz hängen wird.
Nicht verwunderlich daher, dass Darstellung der Heiligen Familie in der Renaissance so beliebt sind, einer Zeit, die von Kriegen, Schlachten, Gift, Krankheiten, Unwetter und Hunger heim gesucht wird. So auch dieses als Tondo Doni bezeichnete Gemälde Michelangelos, ein in Öl und Tempera aufs Holz gemaltes Werk.
Wann es gemalt wurde, das wissen wir nicht. Lange Zeit nahmen die Wissenschaftler an, es wäre eines der früheren Gemälde Michelangelos, vielleicht, nach Vasari 1550 gemalt. Doch seit dem mehren sich Anzeichen, die dem Bild ein späteres Entstehungsjahr bescheinigten.
Tondo Doni. Ein Doni-Rundbild also. Benannt nach dem ersten Besitzer des Werkes, Agnolo Doni. Giovanni Poggi, ein italienischer Kunsthistoriker, ordnete das Werk daher der Hochzeit Antonio Donis mit Maddalena Strozzi, einer in der damaligen Zeit großartigen Veranstaltung, die mehrere Wochen vom Ende 1503 bis Anfang 1504 andauerte. Vielleicht war es daher ein Hochzeitsgeschenk für die zwei? Gleichzeitig zeigt das Werk aber Anlehnungen an der berühmten Laokoon – Gruppe, einem Kunstwerk der Antike, welche aber erst 1506 entdeckt wurde. Einer meiner Lieblingswerke übrigens.
Vermutlich, so ein überwiegende Meinung heutiger Kunsthistoriker, ist das Tondo irgendwo zwischen 1506 und 1508, dem Beginn der Ausmalung der sixtinischen Kapelle, ein zu siedeln.
In der typischen Art von Michelangelo zeigt sich das Werk nicht als statische Ansammlung von Figuren, sondern als eine Studie in voller Bewegung. Maria, eine junge Frau in wallender rosafarbener Tunika, mit einem blauen Umhang die Beine bedeckt, beendete soeben das Lesen ihres Buches, welches nun, zusammengelegt, auf dem ihrem Schoss in den Falten des Überwurfs ruht.
Sie dreht sich herum zu ihrem tobenden Jungen, der über ihren Arm steigt, und streckt ihre Hände aus nach ihm. Josef, ein merklich älterer Herr mit weißem Bart und Glatze, dessen Augen durchaus von Überforderung zeugen, reicht ihr den Jungen, indem er ihn noch mit seinem Bein stützt.
Jesus sieht nicht wie der Herrscher der Welt, Sohn des Allmächtigen Gottes, sondern eher wie ein kleiner Junge mit Flausen im Kopf, noch nicht ganz sicher auf den Beinen. Er hält sich krampfhaft an den Haaren der Mutter und versucht, unsicher, mit dem Bein über ihren Arm nach vorne zu treten.
Josef wiederum hält das Kind fest und sicher, wenn auch etwas verkrampft, unter den Achseln und reicht es der Mutter, deren Ausdruck aber nicht wirklich glücklich ist, sondern eher etwas genervt, der gleiche, mit dem viele heutige Mamas ihr quengelndes Kind auf den Schoß nehmen müssen, obwohl sie gerade doch, aller Liebe zum Kind zum Trotz, doch lieber etwas anderes machen wollten.
Die noch nicht volle Reife des Malers zeigt sich in Details. Die Verkürzung des Kopfes Marias sitzt noch nicht ganz, ihre Haare wirken beinahe wie eine Perücke. Der vorspringende rechte Fuß Josefs ist fast unmöglich verdreht. Aber schon in den Gesichtsausdrücken, dem fallenden Wurf der Kleider, der meisterhaften Abbildung der ängstlich sich klammernden Händchen des Kindes zeigt sich schon die Größe des Meisters.
War es Absicht oder nicht? So mancher Kunsthistoriker und mancher Beobachter zeigte schon auf die Position des Kopfes Marias und der Haltung ihrer linken Hand, die auch anders, deutlicher weniger religiös, dafür aber menschlich-männlich gedeutet werden kann.
Die Heilige Familie ruht barfüßig in einem lieblichen Garten, auf einer kleinen Wiese inmitten saftiges Grases. Dahinter, ganz weit am Horizont, sehen wir Berge, sanft ansteigende Hügel und einzelne Bäume. Dazwischen jedoch eine ganze Gruppe junger, nackter Männer.
Über Jahrhunderte sah man sie nur als Dekoration, Hintergrundgeräusch sozusagen. Bekannt ist schließlich die Vorliebe des Künstlers für männliche Akte. Doch seit dem 17. Jahrhundert sieht man mehr in den Figuren.
Ihre klassische, dem Altertum entliehene Nacktheit, die Positionen, welche an antike Götter erinnern, könnten vielleicht den Sieg des Christentums über das Altertum bedeuten. In strahlende Kleidung angezogene Mutter Gottes mit dem noch jungen, am Beginn seines Lebens stehendem Christus auf dem Arm versus die wesentlich blasseren, unscheinbaren, teilweise gesichtslosen Helden des bereits untergehenden Altertums.
Vielleicht hatte aber Michelangelo nur die Vergänglichkeit des Lebens in Sicht, als er das Bild malte? Wir sehen ein junges Kind, verspielt und noch unsicher. Wir sehen rechts ein etwas größeres Kind, welches etwas spitzbübisch hochschaut, wir sehen junge Männer im besten Alter im Hintergrund. Und einen alten, bärtigen und glatzköpfigen Mann, der das Zirkel des Lebens beendet. Und vor all dem Kreis des Lebens thront Maria.
Michelangelo erlaubte sich möglicherweise sogar einen kleinen Scherz, eine kleine Anspielung: reicht Josef das Kind Maria, oder bittet Maria ihn um das Kind? „Gib mir bitte das Kind“ – könnte sie sagen, auf italienisch „donare“, eine Anspielung auf den Namen Donis?