Wir springen zurück ins Jahr 1573, konkret zum Samstag, den 18. Juli 1573. Ziel der Reise ist das dominikanische Kloster Santi Giovanni e Paolo in Venedig.
Im großen Sitzungssaal sitzt das Tribunal: der Patriarch Giovanni Trevisan, der päpstliche Nuntius (und späterer Papst Urban VII) Giovanni Battista Castagna, drei Vertreter des Magistrats und natürlich Aurelio Schellino aus Brescia, der… Inquisitor. Vor ihnen sitzt der Angeklagte: Paolo Veronese, ein Maler.
Inquisition. Das klingt nach Folter, gebrochenen Knochen, ausgerenkten Gelenken, Eiserner Jungfrau (die es übrigens vermutlich nie gab) sowie nach Scheiterhaufen und dem entsetzlichen Tod im Feuer. Schon alleine die Aufzählung der Punkte, mit denen sich normalerweise Inquisition beschäftigt, ist voller Schrecken: Apostasie (Abfall vom Glauben), Nekromantik, das Essen verbotener Gerichte, Hexerei, Schändung der Sakramente, Ikonoklasmus, Atheismus, Judaisieren, Moslemisieren, Griechisieren (im Sinne von Wechsel zum Griechisch-Orthodoxen Ritus), Luteranisieren, Vertrieb verbotener Bücher, Polygamie usw.
Welcher dieser Verbrechen hat sich denn der Maler schuldig gemacht? Er hat ein Gemälde gemalt.
Gastmahl im Hause des Levi ist eines der Meisterwerke von Paolo Veronese. Bestellt wurde es vom dominikanischen Mönch Andrea de Buoni. Es ist ein gewaltiges Werk, 5,6 Meter in der Höhe, 13,09 Meter in Breite. Noch heißt es aber „Abendmahlbild“, das letzte Mahl vor dem Tod Jesus. Und genau deswegen sitzt nun Veronese vor der venezianischen Staatsinquisition.
Paolo wird zunächst einmal gefragt, ob er weiß, warum er hier ist. Er weiß es nicht. Nach etwas Nachdenken ergänzt er aber, dass er es sich durchaus vorstellen kann. Und zwar erzählte ihm der Prior von Santi Giovanni e Paolo, dass der Inquisitor den Wunsch äußerte, anstelle des Hundes im vorderen Teil des Bildes sollte er unbedingt Maria Magdalena hinzufügen. Er würde es auch sehr gern für seine eigene Ehre und die Ehre des Gemäldes tun, aber er befürchtete, Maria Magdalena hätte ins Bild nicht gepasst, also blieb er bei dem Hund.
Nächste Frage: was sollen denn die zwei Ritter rechts am Rand, die offenbar eine deutsche Uniform tragen. Veronese erwidert, dass in seiner Einschätzung der Eigentümer des Hauses sehr reich sein musste, er konnte sich also sicherlich es leisten, ein paar solche Soldaten in Dienst zu nehmen. Der Inquisitor donnert daraufhin los, ob es ihm denn nicht bewusst war, dass in Deutschland sich die widerliche lutherische Häresie ausbreitet und man Gemälde dazu benutzt, diese falsche Lehre gegenüber der Heiligen Kirche zu unterbreiten?
Veronese antwort ruhig, ja, er habe von der Häresie des Protestantismus gehört. Aber er richtet sich immer in seinen Werken nach den anderen großen Malern. Immerhin hat ja sogar der große Michelangelo Nackte in der Sixtinischen Kapelle gemalt. Zählt nicht, wischt der Inquisitor die Argumentation zur Seite. In der Sixtinischen ist das Jüngste Gericht abgebildet und bei dem Ereignis sind eben die Menschen laut der Bibel nackt.
Nächste Frage: was soll der Narr vorne mit dem Papagei? Soll er das ganze Geschehen ins Lächerliche ziehen? Nö, erwidert der Maler ruhig. Der Narr ist einfach nur Dekoration und nichts mehr. Außerdem, Narren haben eben häufig Papageien mit sich.
Und wer sind die vielen Menschen im Bild, wild die Inquisition wissen. Identifiere sie! – fordert das Hohe Tribunal den Maler auf.
Die da in der Mitte sind Jesus und die zwölf Aposteln – spöttisch identifiziert der Maler das Offensichtliche.
Das sehe ich! Und der Rest? – bohrt das genervte Tribunal nach.
Das Bild war so leer, also habe ich einfach paar Figuren dazu gestellt – zuckt der Maler mit den Schultern und schließt dann mit einem Totschlagargument: „Es ist nicht so, dass ich mich verteidigen will und ja, ich habe manches nicht bedacht beim Malen des Bildes. Aber beachtet bitte, dass diese ganzen Hanswürste sich ja AUßERHALB des Mahles befinden, wo unser Herr ist.
Stimmt, die ganzen Deutschen, Narren, Türken und sonstige verdächtige Personen sind ausgeschlossen vom Tisch des Herren. Der Inquisitor hält verblüfft inne. So kann man das Bild auch sehen. Das Hohe Tribunal ist zufrieden und lässt die Akte schließen. Er gibt dem Maler aber drei Monate Zeit, um auf eigene Kosten das Gemälde zu verbessern und die „Fehler“ nachzukorrigieren.
Doch das einzige, was Veronese in den drei Monaten ändert, ist, einen Schriftzug hinzuzufügen: FECIT D[OMINVS], CO[N]VI[VIVM] MAGNV[M], LEVI/LVCAE CAP[VT]. Somit wird aus dem Letzten Abendmahl einfach nur „Das Gastmahl im Hause Levi“ aus dem Evangelium von Lukas: „Und er gab für Jesus in seinem Haus ein großes Festmahl. Viele Zöllner und andere Gäste waren mit ihnen bei Tisch.“. Fertig, aus, jetzt passt das Bild und die vielem Menschen, die Inquisition kann nicht mehr meckern.
Doch, das hat sich wirklich so zugetragen. Die Aufzeichnung der Inquisition vom Verhör sind bis heute erhalten.