Das ruhige, freundliche Gemälde Vermeers, derzeit in Metropolitan Museum of Art in New York, hat mehr in sich, als der erste, flüchtige Blick verraten möchte.

In der linken Bildhälfte sitzt eine junge Frau, an ihre Hand gelehnt, offenbar in einen leichten Schlummer versetzt. Wer ist sie? Vermutlich die Hausherrin, denn sie trägt ein teueres, rotes Kleid mit einem weißen Kragen mit Spitzen und Perlenohringe, deren Glanz sich in den Knöpfen der Lehne ihres Stuhles wiederfindet. Eine reiche Ausstattung, die sich eine einfache Dienstmagd sicherlich nicht leisten konnte.

Vor ihr liegt ein nachlässig zusammengedrückter orientalischer Teppich. Etwas verwunderlich heutzutage, wo Teppiche fast nur noch auf dem Boden liegen, doch in der damaligen Zeit war es nicht unüblich, diese an die Wände zu hängen oder als eine Art stabiles und buntes Tischtuch zu verwenden.

Auf dem Tischtuch steht eine Schale aus Delfter Keramik mit Obst und eine Weinflasche. Vielleicht schläft die Frau deswegen, weil sie den Wein genossen hatte, also einfach nur angetrunken ist? Gar nicht ungewöhnlich diese Deutung, denn das Bild wurde am 16. Mai 1696 in Amsterdam unter dem Namen „Ein betrunkenes, schlafendes Mädchen an einem Tisch“ verkauft. Um es direkt zu fassen: die Frau auf dem Bild ist eben so besoffen, dass sie eingeschlafen ist.

Im Gegensatz zu der unruhigen, chaotischen linken Seite ist die rechte voller klarer Linien und strenger Trennung: der Stuhl hat nur geometrische Ornamente, der Raum dahinter ist nur einem Wandtisch mit karger Decke und zwei Bildern dekoriert, die strenge Linie des Türrahmens grenzt die weiße Wand ab. Aber das Bild sah nicht immer so aus. In der ursprünglichen Fassung (erkennbar dank Röntgenuntersuchungen) stand hinter der Frau ein Mann und in der Tür war ein Hund.

Ist es einfach nur eine Geste der Melancholie, auf die die Pose des Mädchens hindeutet? Oder eine stille Kritik: die Frau wirkt träge, läßt sich gehen, in dem sie sich betrinkt?