Eindeutig zu den Hauptmeistern der Renaissance gehört der führende Vertreter der venezianischen Malerei: Tizian. Er malte sowohl religiöse wie auch mythologische Werke und auch klassische Porträts gehören zu seinem Portfolio, ein Gemälde schöner wie das andere.

Heute werfen wir ein Blick auf eines seiner Meisterwerke, wenn auch etwas weniger bekannt wie viele anderen: Venus mit einem Spiegel.

Offenbar gehörte das Kunstwerk zu den Lieblingsbildern des Malers, denn, so lange er lebte, hing es immer in seinem Studio, wo es gleichzeitig als Vorlage für Kopien diente. Bekannt sind nicht weniger als 15 verschiedene Versionen davon, von denen die in National Gallery of Art in Washington als Orginal aus Tizians Hand gilt, während beispielsweise die Version in Wallraf-Richartz-Museum in Köln zwar ziemlich sicher aus seiner Werkstatt stamm, doch wie viel Hand der Meister selbst an sie legte, ob überhaupt, oder ob sie sogar doch vollständig von seiner Hand stam, ist leider unbekannt.

Venus mit dem Spiegel, Orginal von Tizian

Venus. Eine der beliebtesten Gottheiten, Patronin des Morgen- und Abendsterns (ist ja schließlich in Wirklichkeit der Planet Venus), ist hier als eine schöne, blonde, zum großen Teil nackte Frau abgebildet. Sie sitzt strahlend hell vor einem dunklen, beinahe schwarzen Hintergrund und betrachtet sich im Spiegel. Eine ruhige, beinahe intime Szene…

Aus heutiger Zeit kaum vorstellbar, aber zu der Zeit Tizians ist ein Spiegel eigentlich erst eine brandneue Erfindung. Zwar konnten schon die alten Römer Glas zum Spiegel formen, aber das Wissen darüber ging verloren. Alle Spiegel des Mittelalters zeigten nur ein unklares, verschwommenes Bild, erst die Venetianer erfanden kurze Zeit vorher glasklare Spiegel, die ein sauberes Bild gaben. Nicht zur Freude aller, Petrarca, der Dichter, sah in ihnen Konkurrenz zu seinen Versen…

Im Gegensatz zum leicht verschwommenen Rest des Bildes ist das Gesicht Venus sehr scharf gezeichnet und voller Details. Sie sitzt in der Pose einer klassischen Skultpur, welche im berühmten Garten der Medicis stand. Ihr schönes, goldenes Haar ist kunstvoll frisiert und wird von einem goldenen Diadem festgehalten. Auch so trägt sie viel Schmuck, beinahe mehr als Kleidung.

Wie es sich für ein Bild der Göttin der Liebe handelt, ist es voller Erotik, wenn auch etwas feinsinniger und angedeuteter, als wir es heute gewohnt sind. So ist eine ihrer beiden Brüste nackt, die zweite zwar mit einer Hand bedeckt, doch der Ring auf dieser Hand wirkt als Anziehpunkt und richtet den Blick des Betrachters auf die freie Brust daneben. Auch das zusammengeknüllte Fell über ihrer linken Hand weckt Assoziationen. Tja, den Künstlern damals war es zwar untersagt, allzu viel Erotik frei zu zeigen, doch sie wussten sich eben anderweitig zu behelfen… 😉

Venus mit dem Spiegel. Tizian/Werkstatt

Wo Venus ist, muss auch Amor sein, der kleine Junge mit den Flügeln. Doch seine Pfeile sind achtlos zum Boden geworfen zwischen seinen Beinen, während er den schweren Spiegel hält. Viel sehen wir nicht darin, nur ein Auge, Teil des Kopfes und eine Schulter, doch es muss ein großer und schwerer Spiegel sein, der Junge geht unter sienem Gewicht leicht in die Knie. Die Perle in ihrem Ohrring im Spiegelbild bildet eine direkte Verbindung zu der Perlenschnur in den Haaren der Göttin, als eine beinahe symmetrische Umrandung des Geschehens.

Eine zweite Putte reicht der Venus ein Diadem. In der Kölner Version wiederum halten beide Putten den Spiegel, wodurch eine Trennung zwischen Venus und den beiden entsteht. Mir persönlich gefällt die Washingtoner Version besser, wo die drei Gestalten durch die Putte mit dem Diadem eine räumliche Verbindung angehen. Welche gefällt Euch wiederum besser? Bild 1 ist die Venus mit einem Spiegel von Tizian aus Washington, Bild 2 Venus vor dem Spiegel aus Köln.