Wenige Frauengestalten in der Geschichte sorgen so sehr für Verwirrung, wie Maria Magdalena. Sogar in Euren Kommentaren auf dieser Seite kam sie bereits mehrfach zum Thema, daher möchte ich sie Euch in der heutigen Geschichte vorstellen. Wichtiger Punkt: meine Betrachtung kommt ausschließlich aus geschichtlicher bzw. kunstgeschichtlicher Sicht. Auf die religiöse, feministische oder wie auch immer sonstige Betrachtung möchte ich hier nicht angehen.
Eine häufige Meinung, die auch in Euren Kommentaren vertreten wurde, lautet, sie war die Ehefrau Jesus und später von der Kirche bzw. Kirchenmännern zu einer Prostituierten verdonnert. Doch was wissen wir tatsächlich über sie?
Wenig. Richtig wenig. Das fängt schon mal mit dem Namen an:
Ihr Name lautet hebräisch Mirjam bzw Maria, ergänzt um den Zusatz „Magdalena“ oder „Aus der Stadt Magdala“. Leider war „Maria“ eines der häufigsten Frauennamen und Magdala auch nicht so klein. Wir finden in der Bibel Zitate wie „Maria aus…, Maria Mutter des …“, um die verschiedenen Marias voneinander zu trennen. Somit wissen wir nicht einmal mit Sicherheit, ob alle Erwähnungen dieses Namens sich in der Bibel tatsächlich auf eine und dieselbe Frau beziehen.
Ihre erste Erwähnung findet Maria Magdalena in Lukasevangelium (LK 8,2) Sie ist eine Frau, die von sieben bösen Dämonen befallen ist, die Jesus austreibt. Welcher Art diese Dämonen sind, wird nicht erwähnt. Zur damaligen Zeit galten viele Krankheiten, aber auch so einfache Sachen wie Alpträume und Depressionen, als von Dämonen verursacht. Welcher Art also ihre Krankheit war, können wir nicht sagen. Aber eine arme Prostituierte kann sie eigentlich nicht gewesen sein, denn im nächsten Satz schreibt Lukas, dass Maria, genannt Magdalena, zusammen mit Johanna, der Frau des Chuzas und einigen anderen Jesus mit ihren Vermögen anschließend unterstützt haben. Sie muss also genug Geld gehabt haben, um zumindest teilweise für den Unterhalt von Jesus (und wohl auch seiner Apostelschar) aufkommen zu können.
Gern wird erwähnt, dass Maria Magdalena am Kreuz Jesus gestanden hat. Das ist eher unwahrscheinlich, denn in der Regel ließen Römer Angehörige nicht in die Nähe des Kreuzes, solange der Verurteilte noch lebte. Schließlich hätten sie ihn befreien, ihm Wasser reichen oder ihm gar die Beine brechen (so stirbt sich schneller auf dem Kreuz) können. Die Bibel schreibt ausdrücklich, dass Soldaten am Kreuz standen, daher ist es eher nicht anzunehmen, dass Maria Magdalena nah dran war. Was schreibt die Bibel denn nun wirklich? Matthäus 27,55-56 schreibt lediglich, dass viele Frauen von weitem zusahen, darunter auch Maria aus Magdala, Maria, die Mutter des Jakobus und des Josef und die Mutter der Söhne des Zebedäus. Es stellt sich nun die Frage: war Maria aus Magdala so wichtig, dass sie hier extra erwähnt wurde, oder hat Matthäus einfach nur aus den „vielen Frauen“ ein paar Beispiele herausgepickt? Die Antwort ist: wir wissen es nicht. In der Beschreibung Markus jedenfalls werden andere Personen genannt, Maria, die Mutter von Jakobus dem Kleinen sowie Salome, aber auch er erwähnt Maria von Magdala, was durchaus auf eine gewisse Bedeutung dieser Frau hindeuten könnte. Es sei denn, man geht nach der Zweiquellentheorie, nach der Markus beim Matthäus abgeschrieben und ihn kopiert hat… Allerdings erwähnt auch Johannes, neben Maria, Jesus Mutter, ihrer Schwester, Maria der Frau Klopas auch Magdalena. Lukas wiederum macht es sich einfach und erwähnt nur „Frauen in der Ferne“.
Direkt danach geht es weiter: Matthäus 27,61 beschreibt die Beerdigung Jesus und erwähnt auch, dass „Maria aus Magdala und die anderen Marias waren dort, sie saßen dem Grab gegenüber“. Markus in 15,47 ist da ziemlich gleich: „Maria aus Magdala und Maria, die Mutter des Joses“ beobachteten, wohin er gelegt wurde.
Die drei Damen, Maria aus Magdala, Maria, die Mutter Jakobus und Salome, kaufen wohlriechende Öle und wollen zum Grab (Markus 16,1-5). Sie fanden den Stein weggewälzt und einen jungen Mann im weißen Gewand im Grab sitzend, der ihnen sagt, dass Jesus auferstanden ist. Sie rennen erschrocken zum Petrus. Bei Johannes ist die Szene etwas anders beschrieben: alle schauen sich das leere Grab und gehen dann, nur Maria bleibt weinend zurück, als plötzlich zwei Engel erscheinen. Neben ihr steht unerwarteterweise Jesus aber… Maria Magdalena erkennt ihn nicht. Sie hält ihn für den Gärtner! Erst dann gibt er sich ihr zu erkennen. Etwas merkwürdig das ganze… Falls Maria wirklich die Ehefrau von Jesus war, wieso sollte sie ihren Ehemann nicht erkannt haben?
Das ist schon alles. Mehr können wir aus dem Neuen Testatement nicht entnehmen. Keine Texte über Ehe, Prostituierte oder Ehebrecherin. Wo kommen denn die ganzen wilden Gerüchte über diese Frau zusammen?
Da wäre es zum einen das Philippusevangelium, vermutlich eine gnostische Spruchsammlung, von der wir recht wenig wissen. Dieses Buch erwähnt Maria von Magdalena in zwei Sprüchen, allerdings immer nur als „Gefährtin“, nirgendwo als Ehefrau. Es findet sich zwar die Passage darin „er küsste sie oft auf den Mund“, aber gerade das Wort „Mund“ gibt es im Orginaldokument nicht, es hat sich nicht erhalten, es ist also nur eine moderne Dazudichtung aus einer möglichen Stellung der erhaltenen Buchstaben. Aber nur eine von möglichen! Es könnte auch durchaus gemeint sein, dass er sie so küsste, wie es in der damaligen Zeit als Ehrerbietung oder gar unter Freunden gemeint war (immerhin war es bis in die moderne Zeit in Russland üblich, sich auf den Mund zur Begrüssung zu küssen). Auch hier wieder: wir wissen es nicht.
Das Thomasenvangelium erwähnt maria Magdalena auch, aber nur, weil Simon Petrus sie fortschicken möchte, denn „Frauen sind des Lebens nicht würdig“ (dafür würde man ihn heute wohl steinigen…!). Jesus antwortet übrigens, er wird sie männlich machen, denn jede Frau, die sich männlich macht, geht ins Himmelreich ein. Aua….
Es existiert sogar ein gnostisches Evangelium, welches gern Maria Magdalena zugeschrieben wird, doch ob es wirklich von ihr geschrieben war, wissen wir nicht. Denn darin wird nur eine „Maria“ erwähnt, angesichts der Hunderten Marias-Erwähnungen in der Bibel eine alles andere als klare Lage.
Zur Sicherheit führe ich nochmal eine weitere Quelle: Pistis Sophia, ein koptisch-gnostischer Text über Weiheit. Hier ist Maria Magdalena eine Weise, die Texte auslegt und sie dem Fragesteller erklärt. Sie erklärt 22 Auslegungen, während der zweitplatzierte, Johannes, gerade mal neun! Sie ist hier vielmehr eine kluge, gebildete Frau, denn eine Prostituierte.
Bei den gnostischen Quellen kommt erschwerend hinzu, dass diese sich überwiegend auf das „Geistliche“ beziehen und nicht auf das „Körperliche“. „Geliebte von“ kann da durchaus im gleichen Sinne interpretiert werden, wie sich Nonnen heute als „Geliebte Jesus“ bezeichnen, ohne das damit eine wirkliche reale Beziehung gemeint ist!
Und was ist mit den angeblich anderen Erwähnungen von Maria Magdalena, von ihrem Ruf als Prostituierte?
Dabei handelt es sich in der Regel um eine Umdeutung. So treten in der Bibel mehrere Frauen auf, die eigentlich namenslos sind, oder einfach nur mit „Maria“ bezeichnet werden. Im Laufe der Zeit wurden sie einfach zur Maria Magdalena umgedichtet, den Menschen fiel wohl einfach schwer, die verschiedenen Marias und sich ähnliche Ereignisse auseinander zu halten.
So beispielsweise die arme Sünderin, die Jesus die Füsse wäscht, ist in der Bibel ohne Namen. Ihre Gleichsetzung mit Maria Magdalena erfolgte erst durch Papst Gregor I dem Großen (590-604, also lange vor der Zeit der Borgias). In der Bibel ist sie übrigens nur eine Sünderin, keine Prostituierte! Als Sünder werden in der Bibel viele Menschen bezeichnet, auch in vielen modernen Gebeten bezeichnen sich die Menschen so, daher ist diese Gleichsetzung nicht unbedingt per se als negativ zu sehen, vor allem, da Maria Magdalena zu dieser Zeit als Apostelin der Apostel und Osterbotin galt, also sehr positiv besetzt war. Erst viele, viele Jahre später wurden irgendwann aus der „Sünderin“ „Prostituierte“, vermutlich deswegen, weil man damit ihre „Besserung“ eindrucksvoller und für die einfachen Menschen verständlicher darstellen konnte.
So ist es auch mit vielen anderen Vertauschungen. So musste beispielsweise Maria von Betanien, die Schwester von Marta und Lazarus, auch als Maria Magdalena herhalten, nur weil sie laut Johannes Jesus auch mal die Füsse salbte. Also wurde sie mal volkstümlich zu der armen Sünderin und damit zur Maria Magdalena. Dabei handelt es sich aber um zwei verschiedene Ereignisse und mit hoher Wahrscheinlichkeit verschiedene Personen. Diese Umdeutungen gehen sogar weiter, auch die Eremitin Maria von Ägypten wurde als Maria Magdalena dargestellt, dabei lebte sie 344-430…
War Maria Magdalena daher wirklich Jesus Ehefrau? Oder einfach nur eine eifrige Schülerin aus einer Gruppe vieler anderen? Wir wissen es nicht. Man sollte sich stets vor Augen halten, dass es eine Eigenschaft der modernen Zeit, einem Mann und einer Frau Beziehung anzudichten, sobald sie gemeinsam irgendwo auftauchen. In der damaligen Zeit hingegen war Ehe eine ernste Sache. Man heiratete äußerst selten nur aus Liebe, wesentlich häufiger verabredeten die Eltern aus geschäftlichen Gründen eine Eheschließung. Selbst Ehepartner traten nur selten gemeinsam auf in der Öffentlichkeit. Es ist auch nicht ungewöhnlich, dass Religionsführer, Diktatoren, mächtige Menschen, ja sogar handwerkliche Meister sich mit Schülern bzw. Begleitern eines anderen Geschlechts umgeben, ohne dass es zu einer Liebesbeziehung zwischen den beiden kommt. Man kann daher zwar schon aus der Erwähnung eine mögliche Beziehung ableiten, wenn man es will, aber durchaus auch eine vollkommen andere, sozusagen harmlose Deutung ist genauso möglich.
Wie man sieht, wissen wir über Maria Magdalena kaum mehr als nichts. Dann genießen wir umso mehr die schönen Gemälde von ihr!